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Veria

Über den Wolken

Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle, Tierärztin

Die an unserem Fenster vorbei fliegenden Cumuluswolken erinnern mich an eine Schafherde. Friedlich, wie an unsichtbaren Fäden, hängen die weißen Wattebäusche am strahlend blauen Himmel. Vor mir sitzen Micha und Spiro, meine fleißigen Teammitglieder des letzten Einsatzes. Gedanklich sind wir zwischen den 150 anderen Fluggästen und unserer Hündin Emma, die im Frachtraum mitreist, isoliert. Denn nur wir wissen von den Zuständen im Tierheim Veria. Emma noch viel intensiver als wir. Sie lebte dort. Ob sie jemals etwas anderes gesehen hat als die dreckigen, kalten und nassen Betonwände? Die anderen Mitreisenden sind von ihrem Urlaub auf dem Nachhauseweg. Sie ratschen, lachen und erzählen von dem schönen Strand, dem leckeren Essen und dem netten Hotelpersonal.

Am liebsten wäre ich jetzt bei Emma im Frachtraum. Ich würde sie beruhigen und ihr von ihrem neuen Zuhause erzählen. Nie wieder frieren, nie wieder dursten oder hungern. Und nie wieder Schmerzen haben. Sie erinnern sich vielleicht an meinen Bericht im letzten „Im Einsatz“, in dem ich berichtete, dass Emma mit einem aufgeplatzten Tumor zu mir in den OP gebracht wurde und ich entscheiden musste: leben oder sterben. Ich entschied mich für „leben“, entfernte den Tumor, betete, dass er nicht wieder kommt und hielt mein Versprechen, für sie ein schönes Zuhause zu finden, in dem sie in ihren letzten Tagen noch erfahren darf, was Glück bedeutet.

Ich isoliere mich noch mehr, drücke mich tief in meinen Sitz, klappe meinen Laptop auf und denke an die vielen Gespräche mit Thomas.

„Das Tierheim ist die Hölle“, erzählte ich ihm nach der Rückkehr von meinem ersten Einsatz 2016“. Er schwieg, aber mir war klar, warum. Er hatte schon unzählige dieser „Tierheime“ gesehen, ohne wirklich helfen zu können, weil weder das Tierheim und schon gar nicht die Tiere schlecht waren, sondern weil die Betreiber völlig überfordert waren.

2020: Die Hunde in den Ausläufen hatten absolut keinen Schutz vor der Witterung. Thomas warnte erneut, dass wir keinerlei Rechte in einem staatlichen Tierheim hätten. Wir bestellten trotzdem Hundehütten, die von den Tieren auch sofort angenommen wurden.

„Die Hunde draußen in den nassen und kalten Betonzwingern erfrieren, wir müssen etwas tun,“ - diese Gedanken verfestigten sich im Winter 2021 immer tiefer in meinem Kopf. Nichts tun, bzw. zuzusehen, wie Tiere leiden, war für mich keine Option. Ich erzählte Oliver Stahl von den beklemmenden Zuständen vor Ort. Er entschied, helfen zu wollen und machte in zwei Einsätzen die Zwinger im städtischen Tierheim winterfest.
Thomas nickte das Vorhaben ab, aber er warnte vor zu viel Hoffnung. „Wir haben in diesem Tierheim nichts zu sagen...“

Es folgten mehrere, erfolgreiche Kastrationseinsätze. Thomas kam ebenfalls mit und sprach mit dem Bürgermeister. Viel brachten die Gespräche nicht und auch meine Skepsis wuchs. Die nichts tuende Bürokratie auf der einen Seite, die leidenden Tier auf der anderen Seite - dieser Spagat zerreißt einen. Als emphatischer Tierschützer liegt die Entscheidung trotz aller Ignoranz und fehlender Mitsprache bei den Tieren. Eindeutig. Also durchhalten!

Ende 2021 lernte ich Anna kennen. Eine griechische Tierärztin mit wenig chirurgischer Erfahrung. Aber einem wahnsinnigen Ehrgeiz. Thomas horchte auf. Wieder folgten Gespräche mit der Gemeinde. Anna darf aber nur acht Monate bei der Gemeinde arbeiten, dann muss die Stelle neu besetzt werden. Schwachsinnige griechische Gesetze würden die Gemeinde danach zwingen, für Anna gewisse soziale Bezüge, zuzüglich zu ihrem kleinen Gehalt, zahlen zu müssen. Das will/kann dort niemand. Nun bringen Sie mal Bürokraten, die eigentlich nur von Wahlperiode zu Wahlperiode denken, bei, dass eine gute Chirurgin Monate, wenn nicht Jahre braucht, um dahin zu kommen, wo sie fachlich stehen sollte. Wir schnitzen keine Kerben ins Holz, sondern wir operieren Tiere, die anschließend wieder sich selbst überlassen sind und bei Schmerzen oder Problemen nicht einfach erneut bei uns vorbeischauen können. Jeder Schnitt, jede Ligatur, jede noch so kleine Kleinigkeit muss sitzen! Um dahin zu kommen, braucht es NACH dem Studium eine intensive und gute Ausbildung!
Ich brachte Anna alles bei, was in der Kürze der Zeit möglich war. Sie machte große Fortschritte! Aber trotz allem wird ihre Stelle im Tierheim in Veria neu ausgeschrieben. Dann ist sie raus. Fast. Denn Anna wird zukünftig vom Förderverein Arche Noah Kreta e.V. bezahlt. Einzelheiten stehen noch aus, aber die Verhandlungen werden wohl dahingehend konkret, dass Anna in unserem Namen in Veria - für die griechische Gemeinde „ehrenamtlich“ kastriert. Dieser Schritt ist unserer Meinung nach der einzig mögliche, auch wenn sich die Bürokratie mal wieder bravourös aus ihrer Verantwortung zieht. Aber mit diesem Schritt binden wir eine weitere griechische Tierärztin an uns (Anna ist auch bereit, uns auf Kreta, Rhodos oder den anderen Projekten auf dem Festland zu unterstützen), wir gehen mit der Gemeinde fast keine weitere Verpflichtung ein (damit auch wir uns die Option offen halten, uns im Notfall zurückziehen zu können) und Anna wird sich auch um den Tierbestand im Tierheim kümmern (falls gewünscht). Das ist der perfekt Beitrag zu einem Tierschutz, der ansonsten mehr behindert als vorangetrieben wird.

2022 - der Sommer kommt. Ich klage nach einem weiteren Einsatz im Frühjahr von zu erwartenden Temperaturen von über 40 Grad. Ich erzähle von Wassernäpfen die entweder leer oder dreckig sind. Meistens beides. Ich bin in Gedanken bei „meinen“ Hunden, die wir am liebsten alle unten im Frachtraum mitgenommen hätten. Ihnen droht in den nächsten Monaten ein ewiges Dahin dursten. Kann ich mit diesem Wissen nachts ruhig schlafen?

Thomas schweigt mal wieder. „Es ist nicht unser Tierheim, wir haben keinerlei Mitspracherecht und wenn man uns morgen nicht mehr haben will, können wir einpacken. Dann waren unsere Bemühungen und das ausgegebene Geld vollkommen sinnlos."
Er weiß, wovon er redet.

Zu Hause nimmt er seinen Laptop und bestellt bei einer Firma 60 Wassereimer zum Aufhängen an die Zwingergitter.

Nächste Woche fährt er sie nach Nordgriechenland.

Ich lächele ihn an und freue mich, dass wir beide in einem großartigen Team arbeiten, welches seit über 20 Jahren stets an das Gute und an Veränderungen glaubt.

Emma ist mittlerweile bei ihrer, sehnlichst auf sie wartende, Familie angekommen. Alle sind überglücklich! Und ich erst, konnte ich doch, mithilfe vieler Tierfreunde mein Versprechen, welches ich Emma unter winzigen Tränen gab, halten.

Erleichtert - zumindest für diesen Moment - habe ich immer noch das Gefühl zu fliegen. Nicht isoliert wie im Flugzeug, sondern wie eine Wolke in ihrer Cumulusherde.

Danke Euch allen, die Ihr immer wieder jeden einzelnen Schritt von uns mittragt und uns unterstützt.

Eure Melanie

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
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In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de