Skip to main content Skip to page footer

Der Chef bringt mich um

Ein Bericht von Antonia Xatzidiakou

„Deine Geschichte von Rocky ist der Hammer, aber der nächste Report kommt bald raus. Ich brauche auch einen Einsatzbericht von Dir“, schreibt der liebe Gregor.
Was soll man denn noch sagen? – fünf Jahre bin ich jetzt schon mit dabei und hab’ inzwischen das Gefühl, es gibt nichts mehr zu erzählen. „Die Leute müssen erfahren, was wir leisten; sie müssen wissen, was hier los ist“, hat der Chef damals gesagt. „Ohne Öffentlichkeitsarbeit wird nichts öffentlich und wenn nichts bekannt ist, hilft uns keiner.“ Aber es gibt eigentlich nichts, was die Leute nicht schon wissen. Über die Jahre haben wir die Situation aus allen Blickwinkeln immer wieder beschrieben und unsere Geschichten ganz farbig ausgemalt: die Straßentiere, das Elend, Menschen ohne jegliches Mitgefühl für Tiere, und Tiere, die neben uns ganz alleine kämpfen und sterben.

 

Was wir dagegen tun? Ganz einfach: wir kastrieren. Das ist überall möglich, zu jeder Zeit, bei jedem Wetter, die Jahreszeit ist egal. Bis zum Umkippen. Wofür? Manchmal weiß ich das wirklich nicht. Manchmal hab’ ich das Gefühl, das bringt doch gar nichts. Manchmal frag’ ich mich, wo die ganzen Welpen schon wieder herkommen, wenn wir doch alles, was sich bewegt, schon kastriert haben. Aber früher waren es Zehntausende, heute kaum mehr Hundert. Immer noch zu viel, aber 9900 weniger. Ich hab’ nichts Neues zu erzählen.
„Wo ist der Text?“ kommt noch einmal eine Nachricht von Gregor. Ich glaube, er wird nicht froh sein, wenn ich ihm sage, dass es nix Neues zum Erzählen gibt.
Stattdessen werd’ ich euch einfach mal kurz berichten, wie meine Ferien so waren. Sie waren voll mit den üblichen Dingen: kastrieren. Im Juni und Juli sind wir um die 2.000km auf Kreta herumgefahren und haben um die 1.000 Tiere kastriert. Zwischendrin hat unsere Mitgliederversammlung stattgefunden – darüber hatten wir auch schon berichtet, glaube ich.
Während Melanie in Nordgriechenland im Einsatz war, hab’ ich beschlossen, mit meinem Urlaub anzufangen und einen Roadtrip auf dem Festland zu machen. Komplett alle Nachrichten ausschalten kann man natürlich nicht und so landeten eines Tages Hilferufe bei mir, die so anfingen: „Es gibt einen Wurf Welpen in einem Tierheim, in dem nichts vernünftig gemacht wird, die schwer kank sind. Traurige Grüße, Sabrina und Melanie.“ Wenn wir nicht helfen, sterben die Kleinen. Die können nicht essen, sind voll Würmer, neurologisch auffällig und wahrscheinlich an Staupe erkrankt. Sabrina gibt grünes Licht, dass sie sich um die Vermittlung kümmert - falls sie überleben. Und dann wird geplant. Melanie muss ja in der anderen Stadt weiter kastrieren und kranke Welpen mit einem ansteckendem Virus mitzuschleppen, wäre nicht schlau. Also verschiebe ich meinen Roadtrip nach hinten, finde eine Pflegestelle, und wenn die Kleinen gesund sind, fliegen sie nach Deutschland zu Sabrina. Das hört sich wie ein guter Plan an! 550km hingefahren und die drei Schwächsten des Wurfes eingepackt, kurz zu Hause geparkt, bis ich die Pflegestelle gefunden habe. Den kleinsten Welpen musste ich erlösen: Es ging ihm zu schlecht.
Zwei Wochen später habe ich noch keine Pflegestelle gefunden, dafür ein krankes, rot-weißes Kätzchen, mitten auf der Schnellstraße. Verschnupft, die Augen verklebt, Pilz, Dreck – nichts Niedliches. „Der Chef bringt mich um, wenn ich in meinem Urlaub auch noch Tiere einsammle. Ich soll mich erholen!“, war mein einziger Gedanke, während ich das Kätzchen in meine Tasche stopfte und nach Hause fuhr.  Und: „Ich brauche einen neuen Plan. Ich muss eine Pflegestelle für die zwei Welpen finden, eine für das Kätzchen, dann mache ich meinen Roadtrip. Dann werden alle drei schon unterwegs zu Sabrina nach Deutschland sein.“
Eine Woche später ging es dem Kätzchen und den Welpen viel besser. Die Betreuung wurde ein bisschen entspannter und ich hatte mehr Zeit. Also war ich unterwegs.
Wenn man unterwegs ist, guckt man, und wenn man guckt, findet man: da liegt ein toter Katzenkörper auf der Straße. Automatisch fahre ich langsamer und ein Stück nach links, um nicht über ihn drüber zu fahren. Fuß wieder auf’s Gas und dann – er hebt den Kopf und schaut mich an. Bremse. Warnblinklicht an. Aussteigen. Er lebt! Bewegen kann er sich nicht, aber er lebt. Ich nehme ihn hoch und während ich ins Auto einsteige, schreien die Stimmen im Kopf: „Der Chef bringt mich um.“
Fünf Tage später geht es einem der Welpen immer schlechter. Er verliert den Kampf. Mein rot-weißes Kätzchen hingegen erholt sich immer mehr.
Ich brauche einen neuen Plan: „Ich  muss zwei Pflegestellen finden, den weißen Tiger bei einer Futterstelle aussetzen, meinen Roadtrip anfangen und wenn die Tiere flugbereit sind, schicke ich sie nach Deutschland zu Sabrina.“
So, den weißen Tiger aussetzen. Ich kann es machen, muss es machen, er ist jetzt gesund, Tiere sammeln ist keine Lösung. Da hat der Chef recht.
Ich mache die Box auf. Er sitzt. Er kommt langsam raus, streckt sich und fängt an, um meine Beine herumzuschmusen. Du schaffst es nicht, mich zu überzeugen, Kater! Du gehst zurück in die Freiheit. Ich steige ins Auto. Zehn Minuten später: er schaut mich immer noch an und läuft langsam in meine Richtung. Ich schaue ihn auch an, stecke den Schlüssel ein und mache den Motor an. Er schaut mich an. Ich ihn auch. Tür auf, Kater drinnen, er hat gewonnen. Der Chef bringt mich um.
Inzwischen ist es Mitte August. Mit zwei eigenen, und vier Pflegetieren bleibt langsam nicht mehr viel Zeit übrig. Zum Glück. Hätte ich mehr Zeit, wer weiß, was ich sonst noch finden würde. Und wirklich: da sitzt er. Vor der Haustür und miaut, ein offener Beinbruch. Vor meiner Haustür, auf der Stufe. Ich flunker’ nicht.
Noch ein beige-weißer Kater. Sein Bein ist nicht zu retten, es muss amputiert werden. Wird es auch am nächsten Tag. Was soll denn ein Dreibeinchen in einer so tierunfreundlichen Stadt? Der Chef bringt mich um – ich weiß es und ich brauche einen neuen Plan. Ich werde niemals eine Pflegestelle auf dem Festland für alle Tiere finden, und Sabrina kann auch nicht alle Tiere nach Deutschland holen. Ich muss sie irgendwie in‘s fast 700 km entfernte NLR bringen. Ihre einzige Chance. Und mein Todesurteil. Drei Katzen, den Welpen und zwei eigene Hunde, die mit dabei sind. Mit sechs Tieren fliegen ist unrealistisch und teuer. Da bleiben nicht viele Möglichkeiten übrig. Ich muss mit der Fähre nach Kreta reisen. Naja, und eine Schifffahrt statt einem Roadtrip ist eigentlich auch schöner.
Also 334km hingefahren, allerdings: Wie man während der Hochsaison am größten Hafen des Landes, der völlig überfüllt ist, sechs Tiere auf das Schiff bekommt, ist eine andere Frage. Irgendwie hat’s geklappt und ich hab’ alle in die Kabine schmuggeln können – nun also 330km Bootsfahrt. Am 21. August haben wir es ins NLR geschafft – endlich! Mein letzter Plan lautet nur noch: HILFE! Alle müssen ein Zuhause finden!
Der Chef hat mich noch nicht umgebracht, Entweder hat er uns alle satt oder Melanie hat damit was zu tun.
Meinen Roadtrip auf dem Festland habe ich noch nicht gemacht, aber mein Sommerurlaub war trotzdem toll. Und sonst gibt es nix Neues – nur das, was wir eben gerne machen: Leben retten und helfen, wo wir können. Und mit Ihrer Hilfe und Ihrer Unterstützung können wir unsere Hand denjenigen geben, die es am meisten gebrauchen können. Dadurch wird das „nix Neues“ ein klein wenig schöner...
Eure Urlauberin Antonia

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!

Jetzt spenden!

In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de